Vor etwas mehr als fünf Jahren fand ein einschneidendes Ereignis statt, das unsere Welt für lange Zeit auf den Kopf stellte: Wohl jeder erinnert sich daran, was er gerade tat, als er erfuhr, dass das Spiel des FC Bayern München gegen die TSG Hoffenheim beim Stand von 6:0 unterbrochen wurde. Zuvor hatten Fans der Bayern Transparente präsentiert, auf denen zu lesen war, dass die Mutter Dietmar Hopps, des Mäzens der TSG Hoffenheim, der Prostitution nachgegangen sei.
Heute, fünf Jahre später, weiß man, dass dieser Vorwurf eine glatte Lüge war. Mama Hopp war eine völlig integre Dame. Doch selbst wenn sie irgendein anrüchiges Verhalten an den Tag gelegt oder wenn sie - schlimmer noch - es ohne Gummi gemacht und Zungenküsse gegeben hätte, wäre ihr Mann, der hochangesehene SA-Truppführer Emil Hopp, sicherlich zur Stelle gewesen, um ihr Einhalt zu gebieten. So jemand weiß schließlich, wie man ein Weib wieder in die richtige Spur bekommt!
Dietmar Hopp war das schon damals klar, aber die anderen Stadionbesucher konnten es nicht wissen. Deshalb war es gut, dass der DFB kurz zuvor einen Dreistufenplan gegen die Diskriminierung von Randgruppen erlassen hatte, der in solch einem Fall ein genaues Vorgehen skizziert: Wird eine Randgruppe (in Hopps Fall die Familie eines SA-Mannes) verunglimpft, muss der Schiedsrichter die Partie unterbrechen und die Zuschauer werden aufgefordert, das verunglimpfende Verhalten einzustellen. Wenn noch mal verunglimpft wird, dann gibt es eine längere Unterbrechung. Bei einer weiteren Verunglimpfung geht die Sache nicht glimpflich aus und es folgt der Spielabbruch.
So weit kam es damals nicht. Irgendwann erhoben sich auf Geheiß des Stadionsprechers alle redlichen Freunde des Fußballs und gönnerhaften Mäzene zu stehenden Ovationen und demonstrierten ihre unverbrüchliche Solidarität mit Dietmar Hopp. Die Mannschaften stellten sich im Spalier auf und Karl-Heinz Rummenigge rutschte mehrmals ab, als er nach der Hand des Milliardärs griffelte, um ihn Händchen haltend auf den Fußballplatz zu zerren.
Rummenigge wollte einen ikonischen Moment schaffen. Er sollte mindestens so ergreifend sein wie der von Kohl und Mitterrand, die sich an den Gräbern von Verdun gegenseitig die Flossen wärmten. Für alle Welt sollte es ein für alle Mal klar sein: Der FC Bayern München und der DFB lieben alle Menschen, auch dann, wenn sie schweinereich und an diversen Unternehmen beteiligt sind. Selbst dann, wenn sie Unsummen in die neue Multifunktionshalle in München investieren, in der die Basketballer der Bayern spielen, oder wenn sie die Fußballmannschaft des FC Bayern sponsern. Nur weil Dietmar Hopp Milliardär ist, darf man ihn nicht in einem Bundesliga-Stadion beleidigen wie jeden dahergelaufenen Timo Werner.
Was in Hopp in diesem Augenblick geschah, kann man nur erahnen. Vielleicht sah er noch einmal sein Leben an sich vorbeiziehen: Wie er, der Hoppensohn aus dem Kraichgau, die SAP gründete, die zu einem Unternehmen von Weltrang heranwuchs und bis heute viele Millionen von Menschen mit ihrer Unternehmenssoftware auf gekonnte Weise um den Verstand bringt.
Vielleicht wurde ihm im Schein des Flutlichts noch einmal bewusst, welch ein bescheidener Mensch er war, der nicht viel brauchte, um glücklich zu sein. Sein Golfplatz mit den beiden Resorts reiche ihm völlig, hatte er einmal gesagt.
Deshalb gab er immer gern von seinem Vermögen ab. Laut Uli Hoeneß kaufte Hopp beim Golfspielen gern einen Apfel und gab dem Verkäufer 50 Euro Trinkgeld.
Hopp hatte in seiner Heimat viel Gutes getan.
Dank erwartete er dafür nicht. Aber wenn die Leute vor lauter Freude dies und das nach ihm benannten, dann war er zu höflich, um ihnen Einhalt zu gebieten. Deshalb gibt es mittlerweile die Dietmar-Hopp-Allee in Walldorf, das Dietmar-Hopp-Stadion in Sinsheim, die Dietmar-Hopp Sporthalle in St. Leon-Rot, das Diet-mar-Hopp-Stadion des FC Astoria Walldorf, die Dietmar-Hopp-Straße in Sinsheim und den Asteroiden des äußeren Hauptgürtels namens »(210432) Dietmarhopp«. Wenn die große SAP-Sicherheitslücke von 2016 auch noch nach ihm benannt wird, dann ist er als Namenspatron erfolgreicher als es Ernst Thälmann in der DDR war.
Hopp ist es eigentlich gewohnt, dass ihn die Menschen lieben. Denn jeder, der einem anderen Menschen Geld schenkt, wird vom Beschenkten geachtet. Wer einem Obdachlosen am Hauptbahnhof einen Euro gibt, der wird in den wenigsten Fällen anschließend von der beschenkten Person bespuckt oder beschimpft. Deshalb spuckten die Hoffenheim-Fans auch nicht, als Hopp ihnen ein neues, noch größeres Stadion baute, sondern sie skandierten bei der feierlichen Eröffnung im Sprechchor im Stile wildgewordener Tifosi: »Dietmar, wir danken
dir!«
Als Hopp der Hass der Anhänger von Traditionsvereinen und Traditionsaktiengesellschar wie zum Beispiel der Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA traf, kam das für ihn überraschend. Doch es ist Milliardärssitte, das scheinbar Unmögliche zu erreichen. Milliardäre fliegen auf den Mars, sie unterhalten sich mit Alice Weidel und hegen langjährige Partnerschaften mit Veronica Ferres. Dietmar Hopp war der erste Miliardärsmensch auf der Welt, der ein Richtmikrofon im Stadion aufstellen ließ, um gegnerische Fans für beleidigende Aussagen verklagen zu können. Diese Gerechtigkeit können sich bislang nur Milliardäre leisten. Aber wenn die Preise für Richtmikrofone weiter sinken, wird irgendwann auch die Nummer neun des SV Rot-Weiß Unterkatzenbach den Pöbler verklagen können, der am Wochenende nach einem harten Einsteigen von hinten »dummes Arschloch« geschrien hat. Möglich werden wird dies aber nur durch Dietmar Hopps wertvolle Vorarbeit. Das beweist den wahren Wert, den Milliardäre für unsere Gesellschaft haben.
In einer Pressemitteilung der Bayern wurde Hopp wohl auch wegen seines gesellschaftlichen Nutzens einst als »Ehrenmann« und »absolut untadeliger Charakter« beschrieben. Das trifft zu, auch wenn man ergänzen könnte, dass Hopp der wundervollste Mensch auf Erden ist und dass es, wenn er doch einmal pupt, nach Zuckerwatte riecht. Mittlerweile hat er sogar seine Stimmrechte bei der TSG Hoffenheim abgegeben und vertraut darauf, dass der Verein schon das Richtige tun wird, solange er in Hopps Stadion spielt und dort keine horrende Miete zahlen möchte Selbstloser kann man nicht sein! Und weil Milliardäre und allen voran Dietmar Hopp so toll sind, möge auch weiterhin jeder mit der vollen Härte des Gesetzes belangt werden, der die folgende Unwahheit ausspricht: »Dietmar Hopp ist ein Hurensohn.«
ANDREAS KORISTKA
ZEICHNUNG: FRANK HOPPMANN